Zielgruppe
Das Angebot Familienrat richtet sich an alle Familien, die ein Interesse daran haben, einen Familienrat durchzuführen. Dabei spielen weder die Größe des Familiensystems eine Rolle, noch ob es sich um ein aus eigenem Antrieb geäußertes Anliegen handelt oder eine Familie aus dem Bereich des Kinderschutzes. Ein Familienrat kann sowohl durch die Familie selbst, als auch durch Mitarbeiter*innen des ASD (oder anderer Dienste) oder durch Einrichtungen oder Gerichte angeregt werden.
Zentrale Fragestellungen eines Familienrates können z.B. Fragen des zu regelnden Umgangsrechtes bei getrenntlebenden Eltern sein, Unterstützung von Eltern oder Alleinerziehenden in der Alltagsorganisation, Sicherstellung von Betreuungs-, Kontakt- oder Entlastungmöglichkeiten für Kinder bei psychisch kranken Eltern, Schulverweigerung oder jedes Thema, das Familiensysteme belasten bzw. durch Profis an die Familie herangetragen werden.
Grundsätze und Haltungen
Der Familienrat geht zurück auf eine zentrale Reform der neuseeländischen Kinder- und Jugendhilfe, bei der der Familienrat als das Standardplanungsverfahren verankert wurde. [1] Seitdem hat der Familienrat in verschiedenen Ländern bereits Einzug in die Hilfeplanung gehalten und ist in Deutschland v.a. in Stuttgart, Hamburg und Berlin verankert und umfassend evaluiert worden. Der Familienrat setzt dabei partizipative Elemente, Empowerment und Ressourcen- und Sozialraumorientierung in einer Methode um. Durch die Stärkung der Selbsthilfepotenziale[2] können Reserven der Familie und im direkten sozialen Umfeld gehoben werden und Familien die Chance eröffnet werden, ohne oder mit weniger professioneller Hilfe zu leben.
Beim Familienrat gehen wir davon aus, dass die Familien die Experten für ihr eigenes Leben sind und daher auch am besten selber Lösungen für ihre Probleme finden können. Der Familienrat bietet dabei einen vorgegebenen Rahmen, der bei der Lösungsfindung unterstützt. Die Besonderheit liegt darin, dass Familien wieder darin erinnert werden, wer in ihrer Familie und / oder in ihrem Umfeld dazu beitragen kann, eine Lösung zu finden und bei der Umsetzung zu unterstützen. Die Koordination des Familienrats übernimmt dabei einzig und allein die Rolle, bei der Vorbereitung und Moderation des Treffens zu unterstützen, es werden im Vorfeld keine potenziellen Lösungen diskutiert. Kern des Familienrates, ist es der Familie die Verantwortung für die eigene Situation zurückzugeben und zur eigenen Lösungsfindung zu ermuntern.
Aus fachlicher Sicht ist die Grenze einer eigenständig erarbeiteten Lösung im Familienrat dort zu ziehen, wo das Kindeswohl gefährdet ist, hier gilt es über die Lösungen der Familie hinaus den Kinderschutz durch geeignete Maßnahmen und Kontrollen sicherzustellen. Die Evaluationen der umgesetzten Familienräte in Deutschland haben gezeigt, dass auch in Kinderschutzfällen umfassend belastbare Pläne durch die Familien entwickelt werden konnten.[3]
Ablauf eines Familienrates
1. Vorbereitungsphase
Die Vorbereitungsphase ist der umfassendste und wichtigste Teil für die professionelle Unterstützung. Kern ist die Information über den Familienrat, die Hebung der Ressourcen im sozialen Umfeld sowie die Formulierung der Sorge.
In der Vorbereitungsphase wird die Familie über Inhalte und Ablauf des Familienrates informiert. Ist der Auftrag für den Familienrat institutionell gegeben (durch ASD oder Gericht), muss in dieser Phase der Auftrag genau geklärt werden und auch gemeinsam an einer möglichst exakten Formulierung der Sorge gearbeitet werden. Hat die Familie oder eine Person aus der Familie den Familienrat angeregt, wird sie bei der Konkretisierung des Auftrages und der Formulierung der Sorge unterstützt. Die Sorge ist ein zentraler Teil des Familienrates, da nur anhand der Sorge überprüft werden kann, ob der formulierte Plan auch wirklich trägt und alles Aspekte abdeckt. Insbesondere im Fall von familiengerichtlichen Streitigkeiten und bei Kindeswohlgefährdungen ist eine sehr exakte Sorgeformulierung essentiell.
Dann wird mit der Familie erarbeitet, wer zu einem Familienrat eingeladen werden soll. Hier spielt die Koordination eine wichtige Rolle, die mit der Familie über verschiedene Instrumente erarbeitet, welche Personen einzuladen sind und welche Ressourcen ggf. gehoben werden können. Methodisch wird mit Genogramm, Eco-Mapping, Ressourcen- und Netzwerkkarten gearbeitet. Hierbei sind alle Mitglieder der Kernfamilie einzubeziehen. Unterstützerpersonen für die Kinder und Jugendlichen sind außerdem zu bestimmen. Ein wichtiger Schritt ist dann die Festlegung von Ort und Termin und wer die (potenziellen) Teilnehmer*innen einlädt und über das Verfahren informiert. Hier sollte die Familie bereits möglichst aktiv werden und die Koordination nur unterstützend tätig werden.
Diese Phase kann zwischen einer Woche und max. drei Monaten dauern.
2. Der Familienrat
Der Familienrat startet mit einer Informationsphase. In dieser Phase nehmen alle Personen teil: Die Koordination übernimmt die Moderation. Die Personen aus der Familie und dem sozialen Netz können Fragen stellen. Der oder die fallführende Fachkraft des ASD informiert – ggf. gemeinsam mit anderen Profis oder Familienmitgliedern – über den aktuellen Sachstand. Wenn notwendig (z.B. wenn Fragen des Sorgerechts berührt sind oder es um Schulabsentismus geht) erfolgt eine Aufklärung über rechtliche Fragen. Auch über mögliche professionelle oder materielle Unterstützungen kann je nach Fragestellung an dieser Stelle vorab informiert werden. Es werden außerdem Gesprächsregeln definiert.
Dann wird die Sorge formuliert. Dies ist Aufgabe desjenigen, der den Auftrag in den Familienrat einbringt. Das kann ein Familienmitglied sein, die Fachkraft des ASD oder auch jemand aus einer Einrichtung oder Institution. Außerdem werden hier Anforderungen an den zu erarbeiteten Plan formuliert – „Mindeststandards“, denen der Plan genügen muss, insbesondere wenn es um Fragen des Kinderschutzes geht.
In der family only Phase verlassen alle Professionellen den Rat, nur die Koordination bleibt auf Abruf in der Nähe. Die Familie hat in dieser Phase den Auftrag, einen Plan zu formulieren und zu dokumentieren. Für anwesende Kinder und Jugendliche ist in dieser Phase ein Beistand aus dem Netzwerk beauftragt. Die Koordination kann bei konkreten Fragen, z.B. zu rechtlichen Rahmenbedingungen oder Nachfragen zur Sorge kontaktiert werden, übernimmt aber keine Moderations- oder Entscheidungsrolle. Wann die family only Phase beendet ist, entscheidet die Familie.
In der nachfolgenden Entscheidungsphase kommt die Koordination und die ASD-Fachkraft wieder hinzu. Die Familie stellt ihren Plan vor. Die Fachkraft überprüft, ob der Plan die Sorge ausräumt und den formulierten Inhalten und rechtlichen Rahmenbedingungen entspricht. Ggf. erfolgt jetzt eine erneute Aushandlung oder es werden nur Teilregelungen übernommen. Falls notwendig werden die Regelungen in einen Schutzplan überführt oder es erfolgt noch eine zusätzliche Schutzplanformulierung. Außerdem wird festgelegt, wie und durch wen eine Überprüfung des Plans erfolgt. In der Regel wird hierfür ein Folgerat vereinbart.
Die Koordination dokumentiert über den Plan der Familie hinaus die Vereinbarung so, dass sie in einen Schutzplan, in einen Hilfeplan oder andere notwendige Informationsschreiben überführt werden können.
Ein Familienrat dauert im Schnitt vier Stunden.
3. Überprüfungsphase
Hier wird, entsprechend der festgelegten Schritte zur Überprüfung vorgegangen. Ggf. überprüft die ASD-Fachkraft – insbesondere im Kinderschutzbereich – die Einhaltung der Vereinbarungen – analog zum Schutzplan. Evtl. werden die Vereinbarungen in einen Hilfeplan nach §36 überführt – wenn Hilfen zur Erziehung gewährt werden.
In einem Folgerat wird dann der Plan überprüft und ggf. Veränderungen vorgenommen. Ob eine Teilnahme der ASD-Fachkraft beim Folgerat notwendig ist, hängt vom Verlauf und den Inhalten des Plans ab. Bei Kinderschutzfällen und wenn es Unklarheiten oder Schwierigkeiten in der Umsetzung des Plans gibt, ist ein Folgerat und eine Teilnahme des ASD zwingend notwendig.
[1] Früchtel, Frank; Roth, Erzsebet; Vollmar, Jörg; Richter, Sophie (2017): Familienrat und inklusive, versammelnde Methoden des Helfens. Heidelberg
[2] Früchtel, Frank u.a. (2011): Wirkung durch Selbsthilfe. In: Das Jugendamt (10)2011, S.507-514.
[3] Wiesner, Reinhard (2011): Kommentar zum SGB VIII, §36 Rz24a Familiengruppenkonferenzen.